Wenig Schifffahrt auf dem Dnjepr- Von Kiew über Sewastopol nach Odessa -
Auf der drittgrößten Wasserstraße Europas gibt es so gut wie keine Schiffe. Man
hat sie verkauft, so der Kapitän Alexander Kovtun, des in der DDR gebauten Flusskreuzfahrtschiffes „General Watutin“. Die Reise von der ukrainischen Metropole Kiew bis ins Schwarze
Meer zur Halbinsel Krim ist gleichwohl ein Erlebnis. Im Schwarzen Meer muss das 129 m lange „Binnenschiff“ mit Meereswellen kämpfen und einige Passagiere werden sogar seekrank.
Fluss und Landschaft
Der Dnjepr entspringt am Südhang der Waldayhöhen in Russland, durchfließt
Weißrussland, erreicht nördlich von Kiew die ukrainische Grenze und mündet südlich des ukrainischen Schwarzmeerhafens Cherson nach 2.200 km im Schwarzen Meer. 1993 km sind schiffbar,
riesige Stauseen mit bis zu 36 m hohen Schleusen bestimmen die Flusslandschaft. Der längste Stausee „Kaschowka“ hat eine Länge von 210 km und ist bis zu 9 km breit. Am
nördlichen Stausee von Kiew liegt das Kernkraftkraftwerk (KKW) Tschernobyl (Unfall 1986) und südlich das KKW Energoda. Das Gefälle an den Staustufen wird zur Stromerzeugung genutzt, so
hat das 1932 gebaute und später erweiterte Wasserkraftwerk nördlich der Schwerindustriestadt Saporoschje eine Leistung von 1.500 MW; diese dem deutschen KKW Lingen vergleichbare
Leistung wird allerdings nur in Spitzenzeiten abgerufen, ansonsten versorgt sich die Ukraine mit Strom aus der heimischen Kohle (Donezbecken) und aus Kernenergie.
Wasser für die Schifffahrt ist dank der Staustufen immer verfügbar –
allerdings friert der Dnjepr von November bis März zu und das ist der Grund, dass sich die Eisenbahn (und mittlerweile auch der Lkw) als Transportmittel durchgesetzt haben.
Im Sommer, von April bis Oktober, verkehren etwa 7 riesige Kreuzfahrtschiffe.
General Watutin – ein „Kriegskünstler“
Das Kreuzfahrtschiff „General Watutin“ wurde 1986 auf der DDR-Werft
Boizenburg gebaut, es war eines von 40 Schiffen des baugleichen Typs 302. Den Dnjepr erreichte es über den NO-Kanal, die Ostsee, die Lena, die russischen Kanäle sowie die Wolga und den
Don.
Die Kabinen für die 240 Passagiere erstrecken sich über 4 Decks, wobei es unten im
Unterdeck am billigsten ist, ganz oben kann man sogar eine teure Suite mieten. Die Ausstattung der Kabinen im Haupt-, Mittel- und Oberdeck ist zweckmäßig (Klappbett im Schrank integriert
sowie gegenüberliegend ein Sofa). Die kleine Dusche ist gewöhnungsbedürftig, weil eng und vom Toilettenbecken nur durch einen Vorhang getrennt. Waschbecken und Handtücher sowie die Ablage
oberhalb des Beckens werden beim Duschen nass.
Mit Ausnahme der Bullaugen im Unterdeck können die Fenster aller Außenkabinen
geöffnet werden.
Benannt wurde das Schiff nach dem russischen General Nikolai F. Watutin. In der
Bordinformation steht geschrieben, dass er einen „bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der sowjetischen Kriegskunst leistete, insbesondere zu Fragen der Einschließung großer gegnerischer
Gruppierungen, des Einsatzes beweglicher Gruppen der Front, der Organisation einer operativen Verteidigung“.
Nicko-Tours und Reederei Chervona Ruta
Gechartert wird die MS General Watutin vom deutschen Flusskreuzfahrtspezialisten
Nicko-Tours in Stuttgart Die Ukrainerin Julia Dadvani ist Reiseleiterin und sorgt dafür, dass es den Passagieren an Bord gut geht. Ihr stehen zur persönlichen Betreuung der
Kreuzfahrer vier Assistentinnen zur Verfügung, diese begleiten die jeweiligen Gruppen auch bei den zahlreichen Ausflugsfahrten. Sie halten Vorträge oder animieren abends die Gäste
in der Tanzbar oder im Vortragsraum.
Morgens um 7.00 Uhr begrüßt Julia Dadvani ihre Gäste über Kabinenlautsprecher und
lädt zum Frühsport an Deck ein. Um etwa 8.00 Uhr gibt’s ein gutes Frühstücksbuffet mit ukrainischen Wurst- und Käsespezialitäten sowie verschiedenen „Eiervariationen“.
Die Verpflegung ist reichlich und abwechslungsreich, wenn man mal davon absieht,
dass der Vorspeisensalat während der gesamten Reise immer aus Tomaten und Gurken und denselben zwei Dressings bestand.
Kapitän mit 31
Im Steuerhaus werde ich von Kapitän Alexander Kovtun begrüßt. Er hat eine
fünfjährige Ausbildung in Kiew an einer Akademie absolviert und ist Chef eines großen Kreuzfahrtschiffes mit etwa 100 Personen Besatzung. Ihm zur Seite stehen zwei Steuermänner, die das
Schiff rund um die Uhr steuern, sowie Chefingenieur Wladimir Jakovenko. Er ist für die Technik des mit 3 Motoren ausgestatteten Schiffes verantwortlich.
Die seegängigen Schiffe dürfen in küstennahen Gewässern bis zu einem Wellengang von
3,5 m, also auch auf dem Schwarzen Meer verkehren. Allerdings ist die Fahrt im Herbst doch recht unruhig.
Im Rahmen der Privatisierung von Großbetrieben, die auch die ukrainische
Flussflotte betraf, gingen die Schiffe ab 1996 an private Reedereien. Diese investieren seitdem Jahr für Jahr in die Modernisierung der Restaurants, Bars, Konferenzsäle und der Kabinen.
Auf einigen Schiffen wurden Kabinen auf dem Oberdeck zusammengelegt und als Luxuskabinen mit Bad und Fernseher versehen.
Obwohl sich in den letzten Jahren einiges getan hat, ist die Kabinenausstattung
weniger luxuriös als auf neueren Flussschiffen westlicher Bauart – wie sie z.B. auf der Donau verkehren. So gibt es weder Fernseher noch Telefon in den normalen Kabinen, deren Größe
– je nach Deck – nur zwischen 9 und 11 qm liegt.
Die Nasszelle von nicht viel mehr als 1,5 qm gibt zunächst Rätsel auf. Wo aber
befindet sich die Dusche? Die Lösung ist eine eigentlich geniale und platzsparende Idee aus den Zeiten des sozialistischen Massentourismus. Die Handbrause des Waschbeckens gegenüber dem
WC lässt sich nämlich herausziehen, so dass man auch damit duschen kann – sogar im Sitzen auf dem WC!
Der verwöhnte Kunde, der Bekanntschaft mit Luxuslinern gemacht hat, wird sich ein
wenig umstellen müssen. Doch, wie dem auch sei, es gibt keine Alternative. Andere Schiffe verkehren nicht auf dem Dnjepr. Aber dafür lernten wir an Bord eine Gastfreundschaft und
Herzlichkeit kennen, wie wir sie noch nie erlebt haben.
Kiew – Sewastopol – Odessa
Alle Reisen auf dem Dnjepr gehen entweder von Odessa am Schwarzen Meer oder von
Kiew aus. Einzigartig dürfte für ein Flusskreuzfahrtschiff die Fahrt über das Schwarze Meer sein.
Wir stellten sehr schnell fest, dass das Verhältnis zwischen Reisegast und
Bordpersonal insgesamt sehr viel persönlicher und wärmer war als auf westlichen Schiffen. Auf höfliche Distanz und unverbindliche Floskeln trafen wir seitens des ukrainischen Personals
nicht.
Die „Seele“ an Bord sind die ukrainischen Reiseleiterinnen – es gibt
auch einige männliche Kollegen. Diese begleiten Sie nicht nur auf den Landausflügen, sondern führen auch zahlreiche Bordveranstaltungen und nicht ganz ernst gemeinte „Wettbewerbe“
durch, machten uns mit ukrainischen Traditionen vertraut, brachten uns ein paar Worte der Landessprache und ukrainische Lieder bei.
Als Gast genießt man die einzigartige Landschaft, die ungewöhnlich schönen Städte
Kiew, Sewastopol, Jalta oder auch Odessa und die Natur im Delta des Dnjepr und der Donau. Man besucht das berühmte Höhlenkloster in Kiew, die Kosakenreiterspiele auf der Dnjepr-Insel
Chortiza, den Zarenpalast auf der Insel Krim, wo 1945 die Konferenz von Jalta stattfand (in der das Schicksal Deutschlands bestimmt wurde) oder flaniert auf der schönen Promenade von
Jalta – um nur einige Höhepunkte der Reise zu nennen.
Schlussbemerkungen
Die Ukraine hat sich 1990 vom „großen Bruder“ getrennt und versucht, sich
kulturell und wirtschaftlich wieder auf sich selbst zu besinnen. Es lohnt sich, das einzigartige Land im Osten Europas am Dnjepr zu besuchen – am besten mit einem
Flusskreuzfahrtschiff auf dem Dnjepr.
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